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Kirchengericht:Verwaltungskammer der Evangelischen Kirche im Rheinland
Entscheidungsform:Urteil
Datum:16.06.2008
Aktenzeichen:VK 02/2007
Rechtsgrundlage:§ 98 PfDG
Vorinstanzen:keine
Schlagworte:Bedürftigkeit, Fürsorgepflicht, Unterhaltsbeitrag, Unwürdigkeit, Versorgungsausgleich
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Leitsatz:

  1. Die bei der Entscheidung über eine Unterhaltsbeitragsgewährung nach Ausscheiden aus dem Dienst zu berücksichtigenden Tatbestandsmerkmale der Bedürftigkeit und der Unwürdigkeit unterliegen als unbestimmte Rechtsbegriffe der vollen gerichtlichen Überprüfung.
  2. Für die Beurteilung, ob ein Strafrechtsverstoß die Unwürdigkeit in Bezug auf einen Unterhaltsbeitrag begründet, ist maßgeblich, inwieweit die Straftat die Funktionsfähigkeit, das Ansehen und Vertrauen in die Evangelische Kirche und die dort tätigen Pfarrerinnen und Pfarrer beeinträchtigt hat, auch wenn sich der Strafrechtsverstoß nicht gegen die Evangelische Kirche selbst gerichtet hat.
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Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird nicht zugelassen.
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Tatbestand

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Der Kläger war bis zu seiner Versetzung in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit mit Ablauf des 30.09.1993 Inhaber der Pfarrstelle der Evangelischen Kirchengemeinde X.. Er ist schwerbehindert mit einem GdP von 100 und den Merkzeichen H, B, RF und B1. Der Kläger ist in zweiter Ehe verheiratet und Vater von 4 Kindern. Durch Urteil des Amtsgerichts Y. vom 26.03.2004 wurden im Versorgungsausgleich zugunsten der ersten Ehefrau des Klägers Rentenanwartschaften in Höhe von 1.384,53 € sowie 28,02 € bezogen auf den 30.04.2003 zu Lasten des Klägers übertragen.
Ende 2002 erstattete die Tochter des Klägers Strafanzeige gegen den Kläger wegen Vergewaltigung und sexuellen Missbrauchs von Familienangehörigen. Der Kläger befand sich in der Zeit vom 27.01.2003 bis 13.05.2003 in Untersuchungshaft.
Durch Beschluss des Kollegiums des Landeskirchenamtes vom 04.02.2003 wurde wegen der genannten Vorwürfe ein Disziplinarverfahren eröffnet.
Mit Urteil des Landgerichts Z. vom 22.03.2006 wurde der Kläger wegen Vergewaltigung seiner Tochter zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde, verurteilt. Strafmildernd hatte das Gericht u.a. berücksichtigt, dass der Kläger die Tat gestanden hat, diese 21 Jahre zurückliegt, der Kläger nicht vorbestraft ist sowie das Alter und den Gesundheitszustand des Klägers.
Mit bestandskräftigem Bescheid vom 25.04.2006 stellte das Landeskirchenamt gegenüber dem Kläger aufgrund Beschlusses des Kollegiums des Landeskirchenamtes vom selben Tage das Ausscheiden aus dem Dienstverhältnis zur Evangelischen Kirche im Rheinland mit Ablauf des 30.04.2006 fest.
Am 19.06.2006 teilte das Landeskirchenamt dem Kläger mit, dass er für die Dienstzeit vom 01.09.1969 bis 30.09.1993 in der gesetzlichen Rentenversicherung nachversichert werde.
Mit Schreiben vom 15.10.2006 beantragte der Kläger einen Unterhaltsbeitrag gemäß § 98 Abs. 2 Satz 2 Pfarrdienstgesetz (PfDG) i. V. m. § 31 Abs. 2 Pfarrbesoldungs- und –versorgungsordnung (PfBVO) für die Zeit vom 01.05.2006 bis 31.10.2006 in Höhe von 75 v. H. seines vorherigen Ruhegehalts. Zur Begründung führte er aus: Die Nachversicherung, die nur bis zur Beitragsbemessungsgrenze vorgenommen werde, führe zu einem deutlich geringeren Rentenanspruch. In der Folge mache die aus dem Versorgungsausgleich an seine geschiedene Ehefrau gezahlte Rente bis auf 12,25 € aus der Nachversicherung die ihm zustehende Rente aus. Er müsse daher seinen Lebensunterhalt durch Kredite finanzieren. Zwar habe er einen Antrag auf Abänderung der Entscheidung über den Versorgungsausgleich gemäß § 10 a des Versorgungsausgleichs- Härteregelungsgesetzes (VAHRG) beim zuständigen Familiengericht gestellt. Die Abänderungsentscheidung wirke aber gemäß § 10 a Abs. 7 Satz 1 VAHRG nicht auf den Zeitpunkt des Wegfalls des Ruhegehalts, sondern auf den der Antragstellung folgenden Monatsersten, d. h. den 01.11.2006, zurück. Auch läge in seinem Fall keine Unwürdigkeit vor. Die Straftat läge lange zurück; zudem habe er sie wahrheitswidrig eingeräumt, um im Hinblick auf seinen Gesundheitszustand einer Haftstrafe zu entgehen.
Mit Bescheid vom 31.10.2006 lehnte das Landeskirchenamt aufgrund des Beschlusses des Kollegiums des Landeskirchenamtes den Antrag auf Gewährung eines Unterhaltsbeitrages ab. Zur Begründung führte es aus: Angesichts der Bedeutung der Straftat für das Opfer sowie für das Amt als Pfarrer der Evangelischen Kirche im Rheinland erscheine der Kläger der Gewährung eines Unterhaltsbeitrags nicht würdig.
Mit Schreiben vom 14.11.2006 – zugegangen am 17.11.2006 – legte der Kläger Widerspruch gegen den Ablehnungsbescheid unter Wiederholung und Vertiefung seiner Rechtsauffassung ein. Ergänzend trug er vor, dass bloße Zweifel an der Würdigkeit, wie sie im Bescheid der Beklagten vom 31.10.2006 geäußert worden seien, eine Versagung des Unterhaltsbeitrages nicht rechtfertigten. Dies setze vielmehr eine Straftat voraus, die sich unmittelbar gegen die Kirche richte.
Aufgrund Beschlusses der Kirchenleitung der Beklagten vom 15.12.2006 wies das Landeskirchenamt den Widerspruch des Klägers mit Bescheid vom 18.12.2006 zurück. Der Bescheid trägt den Ab-Vermerk 20.12. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus: Im angegriffenen Ablehnungsbescheid seien nicht nur Zweifel an der Würdigkeit geäußert worden. Das gegenseitige Dienst- und Treueverhältnis sei verletzt. Durch die dem Urteil zugrunde liegende Straftat sei nicht nur die Vertrauenswürdigkeit und Integrität des Betroffenen zerstört, sondern auch die der Kirche in erheblicher Weise angegriffen.
Der Kläger hat am 26.01.2007 per Fax Klage erhoben. Er wiederholt und vertieft seinen Vortrag aus dem Widerspruchsverfahren. Ergänzend führt er aus, dass ausweislich des Poststempels der Bescheid vom 18.12.2006 am 21.12.2006 abgesandt worden sei und wegen der Weihnachtstage ihn der Widerspruchsbescheid am 27.12.2006 erreicht habe. Die Klage sei daher fristgerecht erhoben.
Der Kläger beantragt,
unter Abänderung des Bescheids des Kollegiums des Landeskirchenamtes der Beklagten vom 31.10.2006 sowie des Widerspruchsbescheides der Kirchenleitung der Beklagten vom 18.12.2006 dem Kläger für die Zeit vom 01.05.2006 bis 31.10.2006 einen Unterhaltsbeitrag zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie wiederholt im Wesentlichen die Begründung des Widerspruchsbescheides.
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Gründe:

Die zulässige Klage ist unbegründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in eigenen Rechten.
Die Klagefrist ist eingehalten.
Der Widerspruchsbescheid vom 18.12.2006 trägt den Ab-Vermerk 20.12.2006; Klage wurde am 26.01.2007 (per Fax) erhoben.
Gemäß § 26 Verwaltungsgerichtsgesetz (VwGG) ist die Klage innerhalb eines Monats nach Zustellung oder Bekanntgabe der Entscheidung über den Widerspruch zu erheben.
Die Zugangsfiktion des § 41 Abs. 2 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) findet gemäß § 2 Abs. 1 VwVfG keine Anwendung. Gemäß § 130 BGB analog ist für den Zugang und damit die Bekanntgabe eines Verwaltungsakts bei Fehlen spezialgesetzlicher Regelungen nicht der Zeitpunkt, in dem der Empfänger Kenntnis nimmt maßgeblich, sondern der Zeitpunkt, in dem das zuzustellende Schriftstück in den Machtbereich des Empfängers gelangt und bei gewöhnlichem Verlauf und normaler Gestaltung der Verhältnisse mit der Kenntnisnahme durch den Empfänger zu rechnen ist. Bei Einlegen in den Briefkasten ist daher auf den Zeitpunkt abzustellen, zu dem normalerweise mit Leerung zu rechnen ist.
Besteht – wie hier – Streit über den Zeitpunkt der Bekanntgabe, so trägt im Zweifel die Beklagte die Beweislast im Hinblick auf den Zeitpunkt der Bekanntgabe.
Nach den Darlegungen des Klägers trägt der Widerspruchsbescheid den Poststempel 21.12.2006. Der Kläger behauptet, dass ihm der Widerspruchsbescheid aufgrund des Wochenendes und der Weihnachtsfeiertage daher erst am 27.12.2006 zugegangen sei. Damit hat der Kläger glaubhaft konkrete Tatsachen vorgetragen, wonach er den Widerspruchsbescheid erst am 27.12.2006 erhalten hat.
Die Klage ist auch ordnungsgemäß erhoben. Dem Schriftformerfordernis des § 27 Abs. 1 VwGG ist durch Einlegung mit Telefax Rechnung getragen.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Bewilligung eines Unterhaltsbeitrags.
Es kann dahinstehen, ob § 98 Abs. 2 Satz 2 Kirchengesetz über die dienstrechtlichen Verhältnisse der Pfarrerinnen und Pfarrer in der Evangelischen Kirche der Union (Pfarrdienstgesetz – PfDG) i.V.m. § 31 Abs. 2 Satz 2 Ordnung über die Besoldung und Versorgung der Pfarrerinnen und Pfarrer sowie der Vikarinnen und Vikare (Pfarrbesoldungs- und –versorgungsordnung – PfBVO) oder § 98 Abs. 5 PfDG i.V.m. § 32 Abs. 1 Disziplinargesetz der Evangelischen Kirche in Deutschland (DG.EKD) bei einem Ruhestandsbeamten in den Fällen des § 98 Abs. 1 Nr. 6 PfDG Anspruchsgrundlage für die Gewährung eines Unterhaltsbeitrages ist. Beide Anspruchsgrundlagen setzen neben der Verurteilung wegen einer vorsätzlich begangenen Straftat zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr voraus, dass Bedürftigkeit besteht und kein Verhalten vorliegt, das den Empfänger oder die Empfängerin als der Gewährung des Unterhaltsbeitrages unwürdig erscheinen lässt.
Der Kläger ist gemäß § 98 Abs. 1 Nr. 6 PfDG aus dem kirchlichen Dienst ausgeschieden, da er durch Urteil vom 22.03.2006 zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt worden ist.
Der Kläger erscheint der Gewährung eines Unterhaltsbeitrages zwar bedürftig, aber unwürdig.
Die Tatbestandsmerkmale der Bedürftigkeit und der Unwürdigkeit unterliegen als unbestimmte Rechtsbegriffe der vollen gerichtlichen Überprüfung.
Die Bedürftigkeit des Klägers dürfte nach seinen Darlegungen im Hinblick auf die von ihm zu leistenden Rentenzahlungen an seine geschiedene Frau bis zur Abänderung des Versorgungsausgleichs für den beantragten Zeitraum gegeben sein. Unstreitig verfügte der Kläger danach vom 01.05.2006 bis 31.10.2006 über eine ihm verbleibende Rente in Höhe von 12,25 €.
Der Kläger erscheint aber unwürdig. Der Unterhaltsbeitrag, dessen Gewährung gemäß § 98 Abs. 2 Satz 2 bzw. § 98 Abs. 5 PfDG im Ermessen steht, ist Ausdruck einer das Beamtenverhältnis überdauernden Fürsorgepflicht des Dienstherrn (vgl. OVG NRW, Urteil vom 27.11.2006 – 6 d A 512/05.0). Neben der Dienstpflichtverletzung müssen daher für die Versagung eines Unterhaltsbeitrages zusätzliche Umstände vorliegen, die sich aus der Person und dem früheren Verhalten ergeben. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn sich das Verhalten des Betroffenen gegen die Grundlagen des beiderseitigen Treueverhältnisses richtet mit der Folge, dass jeder innere Grund für eine nachwirkende Fürsorgepflicht entfällt (OVG NRW aaO; Köhler/Ratz, BDG, § 10 Randnummer 7). Dies kommt insbesondere auch in Fällen strafbewährter Verhaltensweisen in Betracht.
Dass der Strafrechtsverstoß des Klägers sich nicht gegen die Beklagte selbst richtet, ist entgegen der Auffassung des Klägers nicht entscheidend. Maßgeblich ist, inwieweit die Straftat die Funktionsfähigkeit, das Ansehen und Vertrauen in die Evangelische Kirche und die dort tätigen Pfarrerinnen und Pfarrer beeinträchtigt hat.
Zu berücksichtigen ist insoweit die Tat an sich, die auch durch Presseberichte öffentlich wurde, der erhebliche Tatzeitraum und die Auswirkungen auf das Opfer.
Der Kläger hat durch die Straftat gegen die Grundlagen des beiderseitigen Treueverhältnisses verstoßen. Die Behauptung des Klägers, er habe wahrheitswidrig die Tat eingestanden, um einer Haftstrafe zu entgehen, steht dem nicht entgegen. Gemäß § 35 DG.EKD analog können die tatsächlichen Feststellungen eines rechtskräftigen Urteils in einem Strafverfahren, auf denen die Entscheidung beruht, auch in anderen Verfahren, die denselben Sachverhalt zum Gegenstand haben, zugrunde gelegt werden. Ausweislich des Urteils des Landgerichts Z. vom 22.03.2006 hat der Kläger die Tat, d.h. die Vergewaltigung seiner Tochter gestanden. Diese Feststellungen sind für die Verwaltungskammer bindend.
Auch das Fehlen von Vorbelastungen disziplinar- und strafrechtlicher Art sowie die Tatsache, dass die Tat lange Zeit zurückliegt sind nicht geeignet, die Schwere der Verfehlung abzumildern und einen Verstoß gegen das beiderseitige Treueverhältnis zu verneinen.
Die Klage kann nach alledem keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 66 Abs. 1 VwGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, da keine der Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 Verwaltungskammergesetz (VwKG) vorliegt.