.Orgelmerkblatt
I.
II.
III.
IV.
V.
Orgelmerkblatt
– Vorschläge für Orgelneubauten –
Bekanntmachung des Landeskirchenamtes vom 4. Juni 1984
(KABl. S. 106)
#I.
Größe der Orgel
Die Größe einer Orgel wird von der Zahl ihrer Pfeifenreihen (Register) sowie von der Zahl ihrer Teilwerke bestimmt. Eine Vermehrung der Register bedeutet nicht unbedingt eine größere Lautstärke, wohl aber eine Bereicherung und Verfeinerung des Klangbildes.
Eine Kirchenorgel sollte allen liturgischen Aufgaben des Gottesdienstes gewachsen sein. Darüber hinaus soll sie künstlerisch-konzertanten Zwecken dienen, die gerade auch im Gottesdienst ihren Platz und ihre Berechtigung haben. Eine Unterscheidung zwischen Gottesdienst- und Konzertorgel ist nicht sachgerecht. Die Registerzahl einer Orgel steht mit dem Volumen des Raumes und der Zahl der eingerichteten Sitzplätze in enger Verbindung. Der Registerbedarf kann nach folgender Faustregel berechnet werden: Ein Register auf je 100 m3 bzw. auf je 25 Sitzplätze. Aus beiden Einzelberechnungen wird dann der Mittelwert gebildet.
Beispiel:
Ein Raum besitzt ein Volumen von 1 200 m3 (= 12 Register) und verfügt über 250 Sitzplätze (= 10 Register). Mittelwert: 11 Register.
Dies ist jedoch nur ein grobes Berechnungsverfahren, da die akustische Beschaffenheit des Raumes sowie die Stellung der Orgel den Registerbedarf senken oder steigern können. In einem halligen Raum erreicht man mit wenigen Registern mehr als in einem stumpfen mit vielen. Auch muss die Lage und Bedeutung der Gottesdienststätte sowie der Einzugsbereich, nicht zuletzt auch die Aufgeschlossenheit der Gemeinde für die Kirchenmusik bedacht werden.
Bei Gemeindezentren mit Erweiterungsräumen sind die zusätzlichen Plätze bei der Festlegung der Registerzahl mit zu bedenken, ohne sie voll anzurechnen. In welchem Umfange sich das Volumen der miteinzubeziehenden Räume auf die Größe der Orgel auswirkt, ist von Fall zu Fall zu entscheiden und hängt in erster Linie von der akustischen Beschaffenheit des Zentralraumes ab. Die Orgel darf nicht zu groß werden.
Bei Neubauplanungen mit Erweiterungsräumen empfiehlt es sich, die für den Zentralraum ermittelte Registerzahl vorsorglich um ca. 25% zu erhöhen. Was die Anzahl der Werke einer Orgel betrifft (Manuale und Pedal), so können zwei Manuale und Pedal für Instrumente mit 10 bis 30 Registern als Regelfall angesehen werden. Unterhalb von acht Registern wird man sich auf ein einziges Manual beschränken. Das selbstständige Pedal sollte – auch wenn es nur aus einem Register besteht – nur in Ausnahmefällen fortgelassen werden, da der Klang sonst seiner Stütze beraubt wird. Das Argument, der Organist sei des Pedalspiels nicht mächtig, zählt nicht, da sein Nachfolger es beherrschen könnte.
Der Platz, den eine Orgel benötigt, richtet sich nach der Größe ihrer Windladen, nach der Art und Lage der Trakturen und nach dem Platzbedarf für den Spieltisch. An ausreichende Zugangsmöglichkeiten zum Pfeifenwerk (Stimmgänge) und zu den technischen Einrichtungen muss gedacht werden.
Eine Hauptwerkslade benötigt in der Regel eine Breite von 3 m, die Nebenwerksladen sind enger. Bei Kleinpositiven kommt man unter Umständen mit 1,60 m aus. Die Tiefe der Werke ist unmittelbar von ihrer Registerzahl abhängig. Im Durchschnitt rechnet man für ein Register mit einer Tiefe von 12 bis 15 cm. Die Pedallade braucht wegen der Größe ihrer Pfeifen den meisten Platz (3,50 m x 0,20 m) pro Register. Sie wird häufig in zwei Hälften geteilt und rechtwinklig zu den anderen Laden aufgestellt. Bei Positiven, die nur ein Pedalregister haben, werden die Pfeifen in Doppel- oder Dreifachreihen aufgestellt, sodass der Platzbedarf wesentlich vergrößert wird. Pro Orgelregister kann man von einem durchschnittlichen Flächenbedarf von 0,5 m ausgehen. Hinzu treten bei mehrmanualigen Instrumenten Stimmgänge in einer Breite von 50 cm zwischen oder hinter den Werken. Der Spieltisch muss einschließlich Orgelbank mit einer Fläche von 1,50 m x 1,20 m veranschlagt werden. Ist er schrankartig in das Gehäuse eingebaut, so lassen sich in der Tiefe 50 cm einsparen. Er steht in der Regel in der Mitte vor dem Hauptwerk, kann aber durch Trakturverlängerung von der Orgel weggezogen werden, um Platz für einen Chor zu gewinnen.
Bei der Berechnung der Höhe einer Orgel spielt die niveauunterschiedliche Stellung der Teilwerke eine maßgebende Rolle. Eine Mindesthöhe von 2,90 m ist notwendig, um bei einem Positiv alle Pedalpfeifen aufrecht stellen und an das Windnetz anschließen zu können, Ein voll ausgebautes Pedal braucht eine Höhe von 4 m, bei Verwendung von vollbecherigen Zungen von 5,50 m. Werden zwei Werke vertikal übereinandergebaut, so erfordert das eine Raumhöhe von 6 m. Dabei wird der Flächenbedarf für das zweite Manualwerk voll eingespart.
#II.
Aufstellung
Bei der Wahl des Aufstellungsortes sollte es nicht in erster Linie um musizierpraktische Gesichtspunkte (Aufstellung von Chor und Orchester) gehen, wenngleich diese mitbedacht werden müssen. Die Orgel als Hauptträgerin des musikalischen Geschehens im Gottesdienst braucht einen Platz, von dem sie ihren Klang frei und ungehindert zur Raummitte abstrahlen kann, ohne durch Emporenbrüstungen, Pfeiler und dergleichen gehemmt zu werden. In Räumen, die vorwiegend oder ausschließlich der Abhaltung von Gottesdiensten und Amtshandlungen dienen, sollte die Orgel fest eingebaut sein. In Mehrzweckräumen ist ein fahrbares Positiv oft praktischer. Stellungen, bei denen der Klang frontal auf eine gegenüberliegende Wand fällt, können zu ungünstigen Echowirkungen führen. Die Aufstellung in Nischen ist akustisch von Nachteil, weil sie den eigentlichen Orgelklang verfälscht.
Die Haltbarkeit der Orgel und die Konstanz ihrer Stimmung steht in engem Zusammenhang mit den klimatischen Einflüssen, denen sie im Kirchenraum ausgesetzt ist. Sind Temperatur und Feuchtigkeitsschwankungen zwischen Sommer und Winter, Wochentag und Sonntag nicht zu vermeiden, so muss die Orgel dennoch durch die Wahl des Standortes von allen vermeidbaren Störfaktoren wie Be- oder Entlüftung, Heizungsschächten und Heizkörpern ferngehalten werden. Fenster, durch die die Sonne auf die Orgel scheint, sind ungünstig, da eine intensive Sonneneinstrahlung zu einer einseitigen Erwärmung der Pfeifen und damit zu einer Verstimmung führt.
#III.
Akustik
Eine Orgel wird erst in Verbindung mit dem sie umgebenden Raum zu einem vollständigen Musikinstrument. Der Orgelklang kann sich ohne Mithilfe des Raumes nicht entfalten und nicht die Tragfähigkeit erhalten, die zu einer gesunden Musizierpraxis notwendig sind. Nachhallarme Räume ersticken den Klang und lassen jede Musikausübung (auch die des Chores) zur Belastung werden. Die Nachhallwerte sollen mit der Größe des Raumes in Einklang stehen. Größere Räume verlangen eine längere Nachhallzeit als kleine. Für je 500 m3 Volumen rechnet man eine Nachhallzeit von einer halben Sekunde. Die sich ergebenden Werte beziehen sich auf den vollständig eingerichteten Raum bei 50-prozentiger Belegung der vorhandenen Sitzplätze. Die akustische Gestaltung des Raumes hängt von seiner Form und vom Material seiner Innenflächen und Ausstattungsgegenstände ab. Reflektierende Flächen (Beton, Klinkersteine, Steinplatten) fördern den Nachhall, je glatter sie sind. Absorbierende Materialien (Teppiche, Vorhänge, Stoffbezüge) dämpfen ihn. Auch Holz hat von Natur aus eine dämpfende Wirkung. Eine übertriebene Verwendung von Holz oder Holzprodukten an Decken, Wänden, Emporen usw. ist einer guten Raumakustik abträglich. Die Qualität des Nachhalls richtet sich nach der Gleichmäßigkeit des Verhaltens aller Frequenzhöhen. Sie wird in erster Linie von Form und Größe des Raumes beeinflusst.
Musik- und Sprachakustik liegen unglücklicherweise miteinander im Streit. Je länger der Nachhall ist, umso unverständlicher wird die Sprache.
Um gute Sprachverständlichkeit auch in Räumen mit hervorragender Musikakustik zu erreichen, empfiehlt sich in bestimmten Fällen der Einbau einer geeigneten elektroakustischen Anlage.
Für die Akustik neuer Räume kann nicht der planende Architekt verantwortlich gemacht werden. Soll eine einklagbare Nachhallzeit erzielt werden, ist ein Fachingenieur (Akustiker) zu beauftragen. Im Allgemeinen genügt es aber, wenn sich der Architekt bei Planung und Materialwahl an vorstehende Erfahrungsgrundsätze hält.
#IV.
Gestaltung
Hervorragender Klang und gute Gestaltung sind gleichgewichtige Forderungen und nicht voneinander zu trennen. Beide sind Kennzeichen gediegener Orgelbaukunst und stets auf den jeweiligen Raum bezogen. Streng symmetrische Räume verlangen eine Aufstellung der Orgel in der Symmetrieachse und einen symmetrischen Prospektaufbau. Dies trifft für die Mehrzahl der historischen Kirchen zu. Asymmetrischen Räumen entspricht ein mit der Raumform korrespondierender Werkaufbau.
Neben der Anordnung und Zuordnung der einzelnen Werke sind Detailausbildung und Materialauswahl (Farbe) mitbestimmend für eine harmonische Einfügung der Orgel in den Raum.
#V.
Landeskirchliche Fachberatung2#
Die vorstehend beschriebenen Grundsätze für die Bemessung und Aufstellung von Orgeln reichen auch für den im Orgelbau noch unerfahrenen Architekten als erste Planungshilfe aus. Bevor er jedoch die Genehmigungsplanung für eine Kirche oder ein Gemeindezentrum erstellt, sollte er die landeskirchliche Fachberatung in Anspruch nehmen.
Beschließt das Presbyterium, eine neue Orgel anzuschaffen oder eine vorhandene zu verändern, so berichtet es an das Landeskirchenamt, noch bevor es Angebote von Orgelbaufirmen einholt (§ 58 Abs. 3 in Verbindung mit § 56 der Verwaltungsordnung).
Die landeskirchliche Fachberatung nimmt Stellung zu Fragen des Aufstellungsortes und der Disposition der Orgel; sie gibt Hinweise zu Ausschreibung und Vergabeverfahren.
Bei denkmalwerten Kirchen und denkmalwerten Orgeln ist die zuständige Fachbehörde des Landes (Landesdenkmalamt), bei Neubauten der Architekt als Urheber zu beteiligen (Urheberrechtsgesetz vom 9. September 1965).
Orgelamt und Bauamt beteiligen sich im Rahmen der Fachberatung gegenseitig und stellen untereinander Einvernehmen her.