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Erläuterung zu § 68 Absatz 4
Kirchenorganisationsgesetz

Dezernat 4.1

Stand: 14.05.2024

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I. Mitwirkungsverbot bei Interessenkollisionen

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1. Allgemeines – Sinn der Vorschrift

§ 68 Absatz 4 KOG erweitert das Mitwirkungsverbot bei persönlicher Beteiligung (§ 68 Absatz 3 KOG / Artikel 27 Absatz 5 KO a.F.) auf Fälle von Interessenkollisionen, die im Zusammenhang mit einem entgeltlichen Beschäftigungsverhältnis eines Mitglieds eines kirchlichen Leitungsorgans (z.B. Mitglied eines Presbyteriums) oder dessen Mitgliedschaft in einem Vorstand oder Aufsichtsrat auftreten können. Durch das Verbot der Mitwirkung an bestimmten Entscheidungen des Presbyteriums sollen Rollenkonflikte vermieden werden, die z.B. auftreten können, wenn die Geschäftsführung einer gGmbH Mitglied im Presbyterium ist und dort die gGmbH angehende Entscheidungen mittrifft. Die Beschlüsse des Presbyteriums sollen so vor durch fremde Interessen beeinflusster Stimmabgabe geschützt werden.
Anders als die persönliche Beteiligung stellt die Interessenkollisionsregelung in Absatz 4 nicht auf eine Auswirkung der Entscheidung auf die private Lebensgestaltung des Mitglieds ab, sondern darauf, ob die Entscheidung dem Anstellungsträger oder der Anstellungsträgerin bzw. der juristischen Person oder Vereinigung einen unmittelbaren Vor- oder Nachteil bringen kann.
§ 68 Absatz 4 KOG gilt als „Gemeinsame Bestimmung“ im Teil 4 des KOG“ für die Beschlussfassung aller im Kirchenorganisationsgesetz geregelten Leitungsorgane.
Wie bereits die Regelung zur persönlichen Beteiligung ist auch die Regelung zur Interessenkollision an die Gemeindeordnung NRW (§ 31 GO.NRW) angelehnt. Vorteil einer Anlehnung an das staatliche Kommunalrecht ist die Möglichkeit des Rückgriffs auf umfangreiche Auslegungsquellen und Rechtsprechung, wenn im Einzelfall eine Auslegung getroffen werden muss.
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2. Unmittelbarer Vorteil oder Nachteil

Die Begriffe „Vorteil“ und „Nachteil“ werden wie im Kommunalrecht (NRW) weit ausgelegt. Über wirtschaftliche Vor- und Nachteile hinaus kommen auch wissenschaftliche, ethische oder sonstige Interessen in Frage (vgl. zu § 31 GO.NRW Wansleben in: PdK NW, Bd. I, Stand: September 2020, § 31 GO Erl. 3.1). Da es sich um eine „Kann“-Regelung handelt, genügt schon die bloße Möglichkeit der Entstehung eines Vor- oder Nachteils.
Ein solcher Vor- oder Nachteil kann beispielsweise gegeben sein, wenn das Presbyterium über die Finanzierung oder Bezuschussung einer in der Trägerschaft der Kirchengemeinde stehenden gGmbH entscheidet. Gleiches gilt, wenn das Presbyterium einen Auftrag an eine externe Beratungsfirma vergeben möchte, in der das Presbyteriumsmitglied leitend tätig ist.
Das Korrektiv der „Unmittelbarkeit“ des Vor- oder Nachteils stellt ebenfalls parallel zum staatlichen Recht klar, dass die Schaffung oder Veränderung der Chance oder Gefahr eines Vor- oder Nachteils selbst nicht als Vorteil oder Nachteil im Sinne des Gesetzes gesehen werden kann. Falls sich der Vor- oder Nachteil erst durch weiteres Handeln vollzieht, das freier Entscheidung im Sinne eines Ja oder Nein eines Dritten obliegt, ist die Unmittelbarkeit zu verneinen (vgl. LT-Drs. 10/4890, amtliche Begründung S. 5).
Die Unmittelbarkeit des Vor- oder Nachteils wäre etwa zu verneinen, wenn Änderungen des Aufgabenfeldes einer privatrechtlichen Gesellschaft, an der die kirchliche Körperschaft beteiligt ist (in der Regel im Rahmen einer Anhörung zu einer geplanten Änderung des Gesellschaftsvertrages) beraten werden sollen. Denn bei einer Änderung des Aufgabenfeldes muss erst der Gesellschaftsvertrag geändert werden, wofür die Gesellschafterversammlung und nicht das Presbyterium zuständig ist.
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3. Betroffener Personenkreis

a) Das Mitwirkungsverbot nach § 68 Absatz 4 Buchstabe a) betrifft Mitglieder eines kirchlichen Leitungsorgans, die bei einer natürlichen Person, einer anderen juristischen Person oder einer Vereinigung, der die Entscheidung einen unmittelbaren Vorteil oder Nachteil bringen kann, gegen Entgelt beschäftigt sind. Betroffen sein können alle bei dieser durch Dienst- oder Arbeitsvertrag abhängig Beschäftigten (vgl. zu § 31 GO.NRW Wansleben in: PdK NW, Bd. I, Stand: August 2016, § 31 GO Erl. 4.3.1).
Die betroffenen Beschäftigten sind jedoch nur dann von der Mitwirkung an der Entscheidung des Presbyteriums ausgeschlossen, wenn nach den tatsächlichen Umständen, insbesondere der Art ihrer Beschäftigung, ein Interessenwiderstreit anzunehmen ist.
Die Formulierung „nach den tatsächlichen Umständen, insbesondere der Art ihrer Beschäftigung“ schränkt das Mitwirkungsverbot dahingehend ein, dass über die Anstellung hinaus auf tatsächliche Umstände abgestellt werden muss. Im Rahmen einer Gesamtschau muss geprüft werden, ob Tatsachen wie die eigene Zuständigkeit der betroffenen Person für die Bearbeitung der Angelegenheit für ein Mitwirkungsverbot sprechen, weil Einfluss auf die Willensbildung der Person zu erwarten ist. Ausreichend kann auch eine leitende Funktion sein, ohne selbst unmittelbar zuständig zu sein (vgl. zu § 31 GO.NRW Wansleben in: PdK NW, Bd. I, Stand: August 2016, § 31 GO Erl. 4.3.1). Beim Presbyterium kann eine leitende Funktion allerdings nach Artikel 21 Absatz 2 KO und § 8 Absatz 5 KOG nicht nur zu einem Mitwirkungs-, sondern sogar zu einem Mitgliedschaftsverbot führen (s.u. II.).
Anwendung finden kann § 68 Absatz 4 Buchstabe a) zum Beispiel auf Angestellte einer GmbH, der die kirchliche Körperschaft als Gesellschafterin angehört, oder auf Mitarbeitende eines Kitaverbandes oder der Gemeinsamen Verwaltung des Kirchenkreises im Presbyterium. Dies allerdings nur, wenn nach den tatsächlichen Umständen und der Art der Beschäftigung auch wirklich ein Interessenwiderstreit anzunehmen ist (z.B. eigene Zuständigkeit zur Bearbeitung der Angelegenheit). Eine Verwaltungsleitung kann demgegenüber bereits aufgrund ihrer leitenden Funktion vom Mitwirkungsverbot erfasst sein.
Die Mitgliedschaft der kirchlichen Körperschaft in der juristischen Person ist nicht Voraussetzung. Die Ergänzung des Wortes „anderen“ soll klarstellen, dass Mitarbeitende der kirchlichen Körperschaft des entscheidenden Leitungsorgans selbst nicht erfasst sind, damit z.B. Pfarrpersonen der Kirchengemeinde im Presbyterium nicht ausgeschlossen sind. Die gemeinsame Verwaltung ist zwar in der Regel beim Kirchenkreis angesiedelt, dessen Mitarbeitende können aber bereits wegen § 42 Absatz 4 Satz 2 KOG nicht Mitglied des Kreissynodalvorstandes sein.
Der Begriff der „Vereinigung“ ist § 31 Absatz 2 GO.NRW entlehnt und meint z.B. nicht rechtsfähige Vereine, während die rechtsfähigen Vereine juristische Personen sind.
b) Das Mitwirkungsverbot nach § 68 Absatz 4 Buchstabe b) unterstellt Vorstands- und Aufsichtsratsmitgliedern oder Mitgliedern eines gleichartigen Organs einer juristischen Person oder einer Vereinigung die Möglichkeit der Befangenheit. Entscheidend ist die Mitgliedschaft in einem der genannten Organe, auf die Zahlung eines Entgeltes kommt es nicht an. Hierunter fallen etwa Mitglieder eines Verbandsvorstandes, Vorstandsmitglieder eines rechtsfähigen Vereins oder Aufsichtratsmitglieder einer Aktiengesellschaft. Vom Mitwirkungsverbot betroffen sein können auch Mitglieder des Kreissynodalvorstandes, die Mitglied in ihrem Presbyterium sind, wenn die Entscheidung dem Kirchenkreis einen unmittelbaren Vor- oder Nachteil bringen kann.
Wie nach der GO NRW ist ein Mitwirkungsverbot dann nicht erforderlich, wenn die betroffene Person dem Organ „als Vertretung oder auf Vorschlag des Leitungsorgans“ angehört, da die Bindung an die Vertretung die Gefahr einer Interessenkollision verhindert (vgl. zu § 31 GO.NRW Wansleben in: PdK NW, Bd. I, Stand: August 2016, § 31 GO Erl. 4.3.2). Das wäre zum Beispiel bei durch das Presbyterium in eine gGmbH entsandte Pfarrpersonen der Kirchengemeinde der Fall. Geschäftsführungen dagegen werden nicht entsandt und fallen daher nicht unter die Ausnahme.
Der Ständige Ausschuss für Kirchenordnung und Rechtsfragen hat sich der Auslegung angeschlossen, dass „gleichartiges Organ“ im Sinne der Norm auch ein kommunaler Gemeinderat sein kann, da nach der Kommentarliteratur zu § 31 GO.NRW umgekehrt auch Kirchenvorstände „gleichartiges Organ“ sein können (vgl. Wansleben in: PdK NW, Bd. I, Stand: August 2016, § 31 GO Erl. 4.3.2). Nach dem PdK-Kommentar unterscheidet das Gesetz nicht zwischen öffentlich-rechtlicher oder privatrechtlicher Rechtsnatur des Organträgers. Entscheidend sei nur, dass das gleichartige Organ ein Gremium mit Leitungs- und Kontrollfunktion ist.
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4. Anzeigepflicht

Da die Ermittlung der tatsächlichen Umstände in der Regel nicht einfach ist, regelt § 68 Absatz 5 KOG eine Anzeigepflicht nach dem Vorbild von § 31 Absatz 4 GO.NRW. Wer es für möglich hält, nach § 68 Absatz 3 oder 4 KOG von der Mitwirkung ausgeschlossen zu sein, hat den möglichen Ausschließungsgrund unaufgefordert dem Vorsitz anzuzeigen. Dies gilt auch dann, wenn die betroffene Person der Ansicht ist, der vorliegende Sachverhalt begründe kein Mitwirkungsverbot (vgl. Wansleben in: PdK NW, Bd. I, Stand: August 2016, § 31 GO Erl. 6). Ein Verstoß gegen die Anzeigepflicht stellt für Presbyterinnen und Presbyter eine Pflichtwidrigkeit im Sinne von § 27 KOG dar.
Für den Nachweis, dass ein Interessenwiderstreit anzunehmen ist, liegt die Beweislast bei der kirchlichen Körperschaft. Soll ein Beschluss nach Absatz 5 Satz 2 gefasst werden, darf das betroffene Mitglied weder beratend noch entscheidend mitwirken.
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II. Mitgliedschaftsverbot im Presbyterium
nach Artikel 21 Abs. 2 KO und § 8 Abs. 5 KOG

Für leitende Mitarbeitende einer juristischen Person oder Vereinigung, deren Trägerin die Kirchengemeinde ist und über die sie die unmittelbare Aufsicht führt, schließen Artikel 21 Absatz 2 KO und § 8 Absatz 5 KOG die Mitgliedschaft im Presbyterium dieser Kirchengemeinde aus.
Wie beim Verwandtschaftsausschluss nach Artikel 21 Absatz 1 KO bzw. § 8 Absatz 1 KOG handelt es sich um eine Zugangsbeschränkung für das Presbyterium, die sich aber nicht auf die Befähigung zum Presbyteramt im Sinn von Artikel 15 Absatz 3 KO n.F. auswirkt.
Der Begriff der "leitenden Mitarbeitenden" in Artikel 21 Absatz 2 Satz 1 KO und § 8 Absatz 5 KOG ist angelehnt an die „leitenden Angestellten“ in § 5 BetrVG. Danach ist leitender Angestellter, wer – vereinfachend ausgedrückt – Unternehmerfunktionen wahrnimmt, also z.B. Personal einstellt und kündigt oder Prokura hat. Das können etwa Geschäftsführungen einer gGmbH (z.B. Altenheim) sein. Satz 2 stellt klar, dass auch ehrenamtliche Geschäftsführungen unter den Ausschluss fallen.
Der Ausschluss gilt nur für leitende Mitarbeitende einer juristischen Person oder Vereinigung, die sich in der Trägerschaft der Kirchengemeinde befindet und über die die Kirchengemeinde auch die unmittelbare Aufsicht führt. Die unmittelbare Aufsichtsführung ist immer dann gegeben, wenn dies Aufgabe der Gesellschafterversammlung ist, es also keinen Aufsichtsrat gibt, der Aufsicht führt. Das gilt auch, wenn die Kirchengemeinde Minderheitsgesellschafterin ist. Wenn es einen gesonderten Aufsichtsrat gibt, besteht kein Aufsichtskonflikt, so dass ein Mitgliedschaftsausschluss nicht erforderlich ist.
Vom Ausschluss nicht erfasst sind leitende Mitarbeitende einer unselbständigen Einrichtung der Kirchengemeinde. Denn diese sind beruflich Mitarbeitende der Kirchengemeinde und damit Mitarbeitendenpresbyter oder -presbyterinnen nach dem Mitarbeitendenwahlgesetz. Sie unterliegen gesonderten Wahlverboten wie dem Verbot der Wahl in den Vorsitz oder das Kirchmeisteramt.